Anja Hanßke verteilt Wärme

»Mit dem Kohleausstieg fallen bewährte zentrale Quellen für Fernwärme und Prozesswärme weg. Die Wärmenetze werden sich an dezentrale, regenerative Quellen anpassen. Statt Wärme nur in eine Richtung zu schicken, organisieren Netze den bedarfsgerechten Austausch zwischen vielen Erzeugern, Verbrauchern und Speichern zuverlässig«, skizziert Anja Hanßke die urbane Wärmeversorgung der Zukunft. Mit ihrem Team im Competence Center »Wärmenetze 4.0« unterstützt sie die Transformation von Energieversorgern, die ihre Wärme- und Kältenetze fossilfrei, versorgungssicher und bezahlbar betreiben wollen.

© Stadtwerke Cottbus GmbH

»Ich mag es, wenn man oft die Perspektive wechselt und um die Ecke denken darf«, blickt Anja Hanßke auf ihren Berufsalltag. Denn obwohl die meisten Bausteine einer Wärmeversorgung technisch entwickelt und am Markt verfügbar sind, erfordert jedes Projekt einen frischen Blick. Neubau-Wohngebiet oder Innenstadtsanierung, Chemiepark oder Gewerbegebiet, Fernwärmebestandsnetz oder industrielle Abwärme: jedes System verlangt Hanßke ein Schuss Kreativität ab, um die ideale Lösung im Zieldreieck Nachhaltigkeit, Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit zu erreichen.

Ihren Methodenkoffer hat die Ingenieurin dabei zunächst im Studium »Thermischer Maschinenbau« an der Otto von Guericke Universität Magdeburg gefüllt. Dann hat sie in der Chemie- und Zementindustrie große Anlagen geplant und deren Bau im In- und Ausland überwacht. »Wenn sie mal in einer Röhre von 4 Metern Durchmesser standen, in der später chemische Produkte und Betriebsmittel fließen, bekommen sie ein ganz gutes Gefühl für das, was Verfahrenstechnik alles bewegen kann«, schmunzelt Hanßke.

Mit diesem Wissen im Gepäck ging sie an die TU Berlin, wo sie ihr Engagement gleichermaßen in die Lehre und in Projekten zu Energieeffizienz in Wärme- und Kältenetzen und energiemedienübergreifende und netzdienliche Versorgungskonzepte einbrachte. Das Monitoring im Betrieb und die Anpassung an wechselnde Gebäudenutzung war ein gängiges Thema. »Wir wollten regenerativ Wärme und Kälte erzeugen und dabei vorhandene, aber vernachlässigte Abwärme nutzbar machen. Manchmal war das Einsparpotential bis zu 30 Prozent, wenn man gezielt Flaschenhälse entfernt, Kernkomponenten wie Speicher nachrüstet und Betriebskonzepte campusweit denkt. Mir hat es viel bedeutet, dass wir reale Herausforderungen beim Kunden lösen konnten.«

Mit ihrem wachsenden Team am Fraunhofer IEG hat Hanßke den Blick nochmal geweitet. Sie vereint hier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Kompetenzen aus Maschinenbau und Verfahrenstechnik, aber auch Energie-, Gebäude- und Umwelttechnik – teils frisch von der Universität und teils mit Berufserfahrung in Planungsbüros und Energieunternehmen. Denn Kommunen und Energieversorger fragen sie, wie man ganze Stadtnetze umbauen könnte. »Mit dem aktuellen Kohleausstieg und absehbaren Gasausstieg fallen viele bewährte Optionen weg. Nur wer jetzt langfristig für 2038 plant, wird es vermeiden können, zweimal sein Wärmenetz umzubauen«, warnt Hanßke. Eine fundierte Analyse des Ist-Zustandes sollte dabei stets die Basis bilden – gar nicht so einfach bei komplexen, gewachsenen Systemen wie dem Energienetz einer Stadt.

Mit interkommunalen Transformationsstudien wie für die Stadtwerke von Hoyerswerda, Spremberg und Weißwasser oder der Integration von Großwärmepumpen in die Fernwärme wie gerade in Cottbus geplant, erstellt Hanßke Blaupausen für viele Gemeinden in Deutschland, die die Energieversorgung wieder zu einer lokalen Wertschöpfung machen. »Dennoch braucht jeder Auftrag wieder den frischen Blick für die lokalen Gegebenheiten, um die optimale Lösung zu finden. Das mag ich ja so an meinem Beruf«, freut sich Hanßke auf die nächste Herausforderung und einen Berufsalltag, der nicht langweilig wird.