Stella Oberle analysiert die Netze der Zukunft

Die Energiewende betrifft nicht nur die Quellen und Senken der Energie, sondern auch die Transportwege und Verteilnetze, etwa die 554.400 Kilometer Gasverteilnetzleitungen in Deutschland (Quelle: BNetzA, Bundeskartellamt 2022). So gibt es etwa bei den Netzbetreibern Überlegungen, die bestehenden Erdgasnetze künftig für die Verteilung von Wasserstoff, synthetisches Methan oder Biogas einzusetzen. Der Umbau der Gasnetze muss jedoch mengen- und zeitgerecht erfolgen und fair finanziert werden. Hier setzt die Expertise von Stella Oberle, Mitarbeiterin im Bereich »Integrierte Energieinfrastrukturen« beim Fraunhofer IEG an.

»Komplexe Systeme, wie das Gasverteilnetz, faszinieren mich,« bringt Stella Oberle ihre Motivation auf den Punkt. In ihrer Dissertation hat die engagierte Wissenschaftlerin ein entsprechendes Modell, namens MERLIN, entwickelt. Damit kann sie simulieren, wie der aktuelle regulatorische Rahmen und mögliche regulatorische Anpassungen sich auf die Wirtschaftlichkeit der Netze sowie auf die Netzentgelte auswirken. Dies kann sie basierend auf unterschiedlichen Nachfrageszenarien analysieren. Ihre Modellierung kann Netzbetreiber in ihren Investitionsentscheidungen unterstützen und Politik und Verbänden dabei helfen, einen geeigneten regulatorischen Rahmen zu schaffen, z. B. die Verteilung der entstehenden Kosten oder die Änderungen von Abschreibungsmodalitäten. Stella Oberle: »Die Nutzung von Wasserstoff, die derzeit so breit diskutiert wird, wurde in der Forschung immer wieder gehypte und ist dann auch wieder abgeflacht. Erst ab 2018 nahm das Thema deutlich Fahrt auf. Deshalb bin ich froh, dass ich meine Dissertation um diese Thematik erweitern und ich Wasserstoff in meine Modellierung integrieren konnte. Ich habe das Modell in enger Zusammenarbeit mit Netzbetrieben entwickelt. Bei der Validierung – basierend auf der Erlösobergrenze der dritten Regulierungsperiode – konnte ich damit Abweichungen unter 1 % zur Realität feststellen.«

Netze analysieren und Brücken bauen

Stella Oberle hat schon mit 15 Jahren den Grundstein für ihren Werdegang gelegt, als sie sich im zweiten Bildungsweg für ein technisches Gymnasium entschieden hat. Umso wichtiger war es ihr später, sich breit aufzustellen. Nach ihrem Studium des Wirtschaftsingenieurswesens mit Schwerpunkt Elektro- und Informationstechnik hat sie am EU Programm InnoEnergy teilgenommen, dass ihr einen doppelten Masterabschluss in Energietechnologien und Energiemanagement ermöglichte. Dazu studierte sie am Técnico Lissabon und am KIT in Karlsruhe. Ihr Know-how reicht damit von Thermodynamik, über die Planung von Solaranlagen, bis hin zu Energiemärkten und Programmier-Algorithmen. Sie selbst sieht sich als Brückenbauerin zwischen Wirtschaft und Technik. Die Forscherin meint: »Gerade für die Energiewende ist es so wichtig, die verschiedenen technologischen und wissenschaftlichen Disziplinen zusammen zu denken. Denn nur, wenn Spezialistinnen und Spezialisten aus den verschiedenen Fachbereichen zusammenarbeiten, entstehen neue, innovative Lösungen für unsere Herausforderungen. Als Generalistin will ich versuchen, diese Personen in den Austausch zu bringen.«

Analyse des Gasverteilnetzes

Als Generalistin ist sie aber auch dafür prädestiniert, komplexe Systeme wie die Rolle der deutschen Gasverteilnetze im zukünftigen Energiesystem zu analysieren, so wie sie es in ihrer Dissertation getan hat. Die Dissertation führte das Know-how vieler Fachdisziplinen zusammen und war Teil eines Projektes vom Fraunhofer IEG, dem Fraunhofer ISI und weiteren Projektpartnern wo die Forschenden Energieinfrastrukturen integriert abgebildet haben. Insgesamt vier Jahre hat die Wissenschaftlerin an ihrer Dissertation gearbeitet. Im November 2023 war es dann so weit: Mit der Verteidigung ihrer Dissertation (Verlinkung auf: https://publikationen.bibliothek.kit.edu/1000165936)  hat sich Stella Oberle ihr eigenes Weihnachtsgeschenk überreicht.

Der nächste Schritt: Strom- und Wärmenetze

Inzwischen erweitert Stella Oberle ihre Modellierung und Expertise beim Fraunhofer IEG. So unterstützt sie die Evaluierung der Finanzierung des Wasserstoffkernnetzes und analysiert die Wirkung des Amortisationskontos. Des Weiteren arbeitet sie an der Integration der Strom- und Wärmenetze in ihr Modell. Hier tauscht sie sich eng mit anderen Forschenden am Fraunhofer IEG aus, liegen doch im Strom- und Wärmenetz neue Herausforderungen an ihr Modell. So muss etwa im Stromnetz auch die Qualität der Versorgung berücksichtigt werden. Wärmenetzen sind hingegen nicht reguliert im Sinne der Netzregulierung, stellen aber eine direkte Konkurrenz zu Gasverteilnetzen dar, sodass eine parallele Versorgung ineffizient ist. Gleichzeitig wirken sich Entscheidungen in einem Netz immer auch auf die anderen Netze aus. Stella Oberle: »Wenn etwa in der kommunalen Wärmeplanung Gebiete für Fern- oder Nahwärmenetze definiert werden, führt dies langfristig zu einem Rückgang der Gasnachfrage in diesen Gebieten, so dass Pläne für die Stilllegung der Gasnetze nötig werden. In Gebieten mit tendenziell hohem Einsatz von Wärmepumpen, muss das Stromnetz entsprechend dimensioniert sein. Auch hier kann mein Modell helfen.«

Mit dem Elektroauto durch Spanien

Auch privat engagiert sich die Wissenschaftlerin: So moderiert sie Workshops für Serious Games für Erwachsene, wie etwa dem Klimapuzzle oder dem Puzzle »Planetare Grenzen«, welche spielerisch wissenschaftliche Erkenntnisse und Ursache-Wirkung-Zusammenhänge verdeutlichen. Sie ist sich sicher: »Wir brauchen die Energiewende. Da führt kein Weg dran vorbei.« Trotzdem fährt die junge Frau gerne in den Urlaub und lernt andere Kulturen kennen. Wenn es geht, ist sie dabei mit der Bahn unterwegs oder mit dem beim Stadtmobil geliehenen Elektroauto, mit dem sie z. B. 4.000 Kilometer quer durch Spanien gereist ist. Ihr Motto: »Man darf nicht zu verbissen werden! Wenn jeder ein bisschen macht, haben wir alle zusammen schon viel gewonnen.«

 

Weiterführende Verlinkungen

TrafoKommun

Transformation der Gasinfrastruktur zum Klimaschutz

Energiemodelle

Kommunale Energieplanung