Tanja Kneiske ist Forscherin mit Leib und Seele: »Ich will die Forschung vorantreiben, damit wir nicht aussterben, bevor wir eine Zukunft erreichen, wie ich sie mir als Kind erträumt habe,« beschreibt sie ihre Motivation. Begonnen hat Tanja Kneiske in der Grundlagenforschung. Für ihre Promotion untersuchte sie die extragalaktische Hintergrundstrahlung im Gammabereich. Als Postdoc in Australien legte sie als Teil einer internationalen Kollaboration ihren Schwerpunkt auf die Erforschung von Neutrinos, einem sehr leichten Elementarteilchen.
Das änderte sich mit dem Reaktorunfall in Fukushima: »Ich wollte meinen Kindern nicht sagen müssen, dass ich nichts getan habe, um ihre Energieversorgung zuverlässig und ihre Zukunft nachhaltig zu machen, « erinnert sie sich. Dafür nahm die Physikerin einen Bruch in ihrer Laufbahn in Kauf und ging nach Kassel zum Fraunhofer IEE. Dort begann sie 2011 an Tools und Daten zur intelligenten Planung von Energienetzen zu forschen. 2022 wechselte sie an das Fraunhofer IEG in Cottbus und integrierte in die dortigen Schwerpunktthemen »Wärmeversorgung und Wasserstoff« Tools wie DAVE und die Softwarelösung pandapipes: Ein Tool, das die Einbindung von Power-to-X Technologien wie Wärmepumpen und Elektrolyseure und deren Einfluss auf in bestehende Wärme-, Gas-, H2 und Stromnetze modelliert und damit für Netzbetreiber und Energieversorger landesweit interessant ist. »Das Umfeld etwa von Energieversorgern und Netzbetreibern wird immer volatiler. Da ist Schnelligkeit in den Modellen oft wichtiger als technische Tiefe und Genauigkeit in den Details. Die Automatisierung und die Einbindung von Methoden aus der künstlichen Intelligenz in den Tools hilft uns dabei, schnelle Antworten zu finden«, ist sich Tanja Kneiske sicher. Mit Hilfe ihrer Modelle können etwa Verteilnetzbetreiber den Aus- und Umbau ihrer Infrastruktur schnell planen.
Neben der Weiterentwicklung der genannten Softwareanwendungen für Unternehmen ist Tanja Kneiske aktuell auch im Projekt TransHyDE involviert. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und will die anstehende Transformation des Energiesystems mit Fokus auf die zukünftige Wasserstoffinfrastruktur simulieren. Sie forscht dort an neuen Ansätzen zum Vergleich von Modellen, die einerseits Bottom-up die Industrie als zukünftigen Nutzer im Fokus hat und auf der anderen Seite Top-down aus Deutschland- und sogar EU-Sicht die Planung des zukünftigen Wasserstoffnetzes angeht. Ihr Ziel im Projekt ist es, beide Perspektiven zusammenzuführen und damit die politischen Entscheider in ihrer Aufgabe zu unterstützen, die künftige europäische Energie- und Wasserstoffinfrastruktur bedarfsgerecht aufzubauen und den Standort zu stärken.
Im Mai 2023 erhielt die Wissenschaftlerin schließlich einen Ruf an die Technische Universität Berlin. Dort baut sie den Fachbereich »Technologie und Management« an der Fakultät für Wirtschaft und Management auf. Die Professorin: »Ich möchte, dass es mehr Menschen gibt, die wissen, was die Welt braucht. Der Transfer über gut ausgebildete Köpfe ist ja auch eine Säule der Fraunhofer Gesellschaft« Auch hier geht sie neue Wege: Um Vorlesungen nicht immer wieder erneut halten zu müssen, stellt sie in ihrem YouTube Kanal »Integrierte Energie« Studierenden vorbereitende Videos zur Verfügung: »Dann können wir in der Vorlesung gleich in die Diskussion starten.«
Hat sie ihren Schritt in die angewandte Forschung je bereut? »Nein, in der Energieforschung passiert ständig was Neues. In der Astrophysik dauert es 20 Jahre bis eine Veränderung sichtbar wird. Jetzt sehe ich überall im täglichen Leben die Themen, an denen ich gerade arbeite,« erzählt Tanja Kneiske.